Erste Erfahrungen mit der gebundenen Ganztagsklasse am Elly–Heuss–Gymnasium

Den Unterricht prägen viele verschieden Arbeitsformen. Hier probiert Anna-Lena im Fach Musik auf dem Smart–Board die neue Software aus. Beim Lernen und Komponieren geben die anderen Ratschläge und haben erkennbar Spaß an der Melodie.

„Sie wachsen gut in ihren neuen Schulalltag hinein.“

 –  Wie Zehnjährige am „Elly“ die Ganztagsklasse erleben

–  „Weil dann wieder Spaßmacherfächer kommen“

–   Kluges Zeitmanagement entscheidend

–  „Ich habe nix zu meckern.“

– „Noch mehr Knödel!“

–  Modell wird im nächsten Schuljahr fortgesetzt

Zwei Monate werden es jetzt, seit es an einem Weidener Gymnasium eine „gebundene Ganztagsklasse“ gibt. Das Elly–Heuss–Gymnasium hatte sich im letzten Frühjahr dazu entschlossen, dieses Angebot zu machen. Es wurde von Eltern und Schülerinnen sofort gut angenommen. Seit September werden an der Schule zwei „Vormittagsklassen“ und eine Ganztagsklasse unterrichtet. Jede der drei Klassen hat 27 Schülerinnen. Die Schülerinnen sind jeden Tag bis kurz vor 16 Uhr in der Schule. Sicher ist  es noch zu früh für eine Bilanz, aber erste Erfahrungen können die Zehnjährigen schon gut formulieren. Und erste Einsichten haben auch Lehrkräfte, Eltern und Schulleitung.

Was hat dir denn bisher am besten gefallen?

Die Mädchen müssen nicht lange überlegen: Neben dem dreitägigen Aufenthalt in der Jugendherberge in Wernfels gleich Anfang Oktober schätzen sie z. B. den Methodenraum mit dem Sofa hoch ein, die Kletterwand, das Smart–Board in „ihrem Klassenzimmer“, „überhaupt das ganze Gebäude“, den Wasserspender, die Nachspeisen, das eigene Schließfach, und ja, auch dieses Urteil klingt recht sicher und ist ziemlich wichtig: die eigene Klasse. Wichtig deswegen, weil man ja viel Zeit miteinander verbringt und gut miteinander auskommen muss.

Wie kommst du mit dem längeren Schultag zurecht?

Die Antworten sind geteilt, aber besonders störend scheint der Alltag nicht zu sein: Ja, das sei schon sehr anstrengend, meint Isabella, „aber es ist o.k.“ Lisa kommt der Tag sowieso nicht so lange vor. Und es sei abwechslungsreich, meint Rosalie. Eine andere ist ganz zufrieden, denn: „Ich bin den ganzen Tag mit meinen Freundinnen zusammen.“ Emily hofft auf den Gewöhnungseffekt: „So ein Tag kann schon anstrengend werden. Aber ich denke, das wird sich mit der Zeit legen.“ Eine andere Schülerin kommt gut klar, „weil nach Lernfächern dann wieder Spaßmacherfächer kommen.“ Was „Spaßmacherfächer“ sind, bleibt dabei offen: Sind es die Inhalte, der Unterricht? Oder die Lehrkräfte? Oder machen ihr einige Fächer einfach Spaß?

Inwiefern ist der Schultag abwechslungsreich?

Viele Schülerinnen loben den Stundenplan ausdrücklich, vor allem auch „weil wir mehrere Stunden vom gleichen Fach hintereinander haben.“ Bei der Planung haben sich Schulleitung und Lehrkräfte kräftig angestrengt, um den Tag von vorneherein sinnvoll zu rhythmisieren. Das bedeutet, dass der Stundenplan abwechselt zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen geistiger Anstrengung und Pausen, zwischen Bewegung und Übungen, zwischen Unterricht in der Klasse und Arbeiten in kleineren Gruppen. Eine ziemliche Tüftelarbeit – vor allem auch für die Stundenplaner. Und sieht man sich den Tagesablauf an, so findet sich tatsächlich viel Abwechslung, vor allem nach dem Mittagessen gibt es ein breites Angebot: Es reicht von Fußball bis zum kreativen Schreiben, von der Modewerkstatt bis zum Naturwissenschaftlichen Arbeiten, von Bewegungsspielen bis zum Tanzen. Aber auch Übungs– und Hausaufgabenzeiten sind in den Unterrichtsalltag integriert. Es finden sich zudem Phasen für soziales und methodisches Lernen. Und noch etwas fällt auf: Der Stundenplan hat öfter Doppelstunden. So sind für die Schülerinnen an einem Tag nicht sieben oder acht Fächer abzuarbeiten, sondern vier oder fünf. Manche Schülerin lobt auch, dass „wir oft Doppelstunden haben und nicht so viele Hefte und Bücher mitschleppen müssen“.

Wie sehen die Lehrkräfte die Herausforderungen und Chancen?

„Das war in den ersten Wochen alles nicht ganz einfach“, meint Klassenleiterin Beate Fiedler. Sie unterrichtet Deutsch und Musik und lenkt ein bisschen die Geschicke der Klasse. Insgesamt neun Wochenstunden ist sie in der Klasse: „In den ersten Wochen stürmte viel auf die Schülerinnen ein. Es brauchte viel Energie. Um die Bedürfnisse mit den Rahmenbedingungen abzugleichen. Das alles und die Umstellung auf das Gymnasium überhaupt hat manche Zehnjährige schon angestrengt.“ Die Lehrkräfte haben sich umfangreiches Handwerkszeug angeeignet, um die Schülerinnen den Tag über zu motivieren. Sie seien täglich in ihren methodischen, didaktischen und erzieherischen Kompetenzen gut gefordert, ergänzt Mathematiklehrerin Kathrin Hirsekorn: „Gerade durch die enge Zusammenarbeit profitieren wir schnell von unseren neuen Erfahrungen.“

Studienrätin Doris Christl unterrichtet Englisch: „Es ist ziemlich aufwändig, den Zehnjährigen ein sinnvolles Zeitmanagement beizubringen. Jede tickt natürlich anders. Jetzt helfen wir noch individuell bei der Planung der Arbeit über die Woche hinweg, aber irgendwann werden sie das alle selber hinbekommen müssen. Aber wir merken schon Fortschritte. Sie wachsen allmählich in ihren neuen Schulalltag hinein.“

Die Mädchen werden im Lauf der Zeit vom gemeinsamen Lernen und der gemeinsam verbrachten Zeit auch am Nachmittag enorm profitieren, ist sich die Englischlehrerin sicher. „Aber auch ich als Lehrkraft gewinne dadurch. Ich erlebe die Schülerinnen nicht nur im Fachunterricht. So bekomme ich ein umfassenderes und zuverlässigeres Bild von der Person, die ich vor mir habe.“

„Soziales Lernen“ im Pausenhof: Schnell lernt man den Wert eines umgänglichen und versöhnlichen Miteinanders, auch wenn jemand mal weniger geschickt hantiert. Hier muss jede Schülerin sekundengenau und präzise den Stuhl der anderen „übernehmen“, es gelingt nur mit präziser Abstimmung und hoher Konzentration.

Ist auch der Unterricht anders?

Die zehnjährige Anna schreibt: „Wir gehen öfter mal raus und machen Spiele.“ Die häufigeren Bewegungsphasen – und seien es bloß 10 Minuten – scheinen bei allen sehr beliebt zu sein.

Aus der Sicht der Lehrkräfte sind freilich noch andere Aspekte wichtig: Sie müssen sich schon einiges einfallen lassen. So gelingt es immer wieder, einen aus lernpsychologischer Sicht sehr wertvollen Weg zu gehen, nämlich die Schülerinnen über möglichst viele „Kanäle“ anzusprechen.“

Und natürlich versucht jede Lehrkraft innerhalb von Doppelstunden selbst „rhythmisieren“, sie wechselt gezielt zwischen Phasen der Anstrengung, des Übens und des freieren Arbeitens ab.

Noch etwas anderes betonen die Lehrkräfte: „Für uns erhöht sich die Notwendigkeit, noch mehr im Team zu arbeiten. Wir müssen uns täglich und viel absprechen, vor allem auch über Umfang und Anspruch bei Übungen und Hausaufgaben.“

Und wie funktioniert es mit den Hausaufgaben?

Die Erfahrungen der Mädchen sind verschieden: Während viele mit der Zeit gut zurecht kommen, ihnen also die Zeit „für die Hausi“ in der Schule reicht, müssen andere noch nacharbeiten: „Ich muss schon noch zu Hause lernen.“ bedauert ein Mädchen. Dass u. a. die Englisch–Vokabeln noch Zeit brauchen, lässt sich nicht immer vermeiden.

„Ich habe genug Zeit für meine Freunde“, meint ein Mädchen. Und der Freitagnachmittag sei ja frei und das Wochenende zum größten Teil auch. Ihre Hobbys müssen die Mädchen ebenso clever organisieren wie außerschulische Freundschaften oder besondere Aktivitäten in oder mit der Familie. „Aber das wussten wir ja.“ Und man kann es lernen.

Die Konzeption der gebundenen Ganztagsschule zielt darauf ab, dass der größte Teil der Hausaufgaben in den Übungs– und Arbeitsstunden erledigt wird. Das gelingt vielen, aber noch nicht allen. „Das mach ich dann zu Hause“, sei nämlich keine gute Strategie, meint Studienrätin Doris Christl, sie ist zuversichtlich: „Auch sie werden den richtigen Takt schon noch finden.“

Die Ursachen sieht sie in den großen Unterschieden beim Arbeitstempo und der Konzentrationsfähigkeit. Das sei aber ein bekanntes Problem, mit dem Lehrkräfte in Anfangsklassen am Gymnasium bis Weihnachten immer zu tun haben.

Und noch eine andere Gewohnheit gilt es aufzubrechen, merken die Lehrkräfte: Für die Schülerinnen war es in ihrer Grundschulzeit nicht üblich, Hausaufgaben schon vor dem Mittagessen zu erledigen. Dafür ist jetzt im Stundenplan jeden Tag eine Arbeitsstunde gegen Mittag vorgesehen – auch wegen der Rhythmisierung des Schultags. Das ist für die meisten ungewohnt, „die Hausi“ ist mental nämlich noch fest am Nachmittag verankert.

Eine andere Schülerin kommt wie der Großteil mit den Hausaufgaben gut zurecht und meint dazu nur: „Ich habe nix zu meckern.“

Welche Erfahrungen haben Eltern bisher gemacht?

Manche Eltern bestätigen die Einschätzungen der Schülerinnen. Die Unter-schiede in deren Konzentrationsfähigkeit, Arbeitstempo und der Fähigkeit, sich zu organisieren, spiegeln sich in den Erfahrungen der Eltern wider. So kommen manche Schülerinnen recht entspannt zu Hause an. Andere wünschten sich hie und da noch eine Übungsstunde mehr, um für den nächsten Tag „alles beieinander“ zu haben.

Die Schule will auf diese individuellen Unterschiede reagieren, indem sie zu manchen Zeiten noch mehr Kleingruppen ermöglicht, z. B. um Vokabeln zu lernen oder um den Unterschieden in den Leistungen und im Tempo gerecht zu werden. Nichts ändern möchte man aber am Konzept der Rhythmisierung: Lehrkräfte und Schulleitung wissen um den Wert der Abwechslung und sehen sich damit auf einem guten Weg.

Wie sieht Schulleiter Anton Schwemmer die Entwicklung?

„Wir halten unser Angebot für sehr zukunftsträchtig, auch weil es sehr familienfreundlich ist. Das offene Ganztagsangebot „Elly eins plus“ geht gerade ins zehnte Jahr und ist sehr beliebt. Mit diesen Erfahrungen haben wir uns auch die gebundene Ganztagsklasse zugetraut.“

Das Elly, so ergänzt er, beschreite gern neue Wege, auch weil es sich der Mädchenbildung besonders verpflichtet fühle. „Studien und viele Erfahrungen zeigen, dass Eltern von Mädchen gerade in eher ländlichen Regionen die guten und sehr guten Übertrittszeugnisse nicht immer für den Besuch des Gymnasiums nutzen. Wir wollen Mut machen, den gymnasialen Weg zu gehen, wenn die Voraussetzungen stimmen. Die gebundene Klasse werden wir auch im nächsten Jahr anbieten, dann vielleicht sogar in der 5. und 6. Jahrgangsstufe. Das Angebot soll dazu beitragen, dass hellwachen und neugierigen Mädchen und ihren Eltern die Entscheidung für den gymnasialen Weg leichter fällt.“

Und was schreiben die Mädchen in die Rubrik „Das wollte ich noch sagen.“

Küchenchefin Rosi Pausch kann sich freuen: Ihre Küche bekommt höchstes Lob, das sich selbst im Wunsch „Noch mehr Knödel!“ versteckt. Mit der gebundenen Ganztagsklasse hat sie neue „Stammkunden“. Das zweigängige Essen ist sehr beliebt und kostet für die Schülerinnen 2.50 €. „Rosi“ kocht mit ihrem Team täglich frisch, das hat sich bewährt, an manchen Tagen essen über 200 Mädchen in der „Elly“–Mensa.

Und öfter tauchen positive „Gesamturteile“ in der Rubrik auf: „Alles in Ordnung“, „Super!“ oder auch mal Herzerln oder Smileys für Lehrkräfte und „Elly“: Komplimente, mit denen die Schule gut leben kann – darauf hoffend, dass sich im Laufe des Schuljahres nicht allzu viel daran ändert.

Eine Zehnjährige schreibt sehr „erwachsen“: „Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit in meinen nächsten Lebensjahren auf dieser Schule.“

Man wünscht es ihr, den Klassenkameradinnen und der Schule – ganz gleich, welches der vielen Angebote am „Elly“ sie künftig wahrnimmt.